Karin Böllert, ist das Ziel einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe gescheitert?

Shownotes

Nachdem im November des vergangenen Jahres die Bundesregierung ihre Zustimmung zum Gesetzesentwurf zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (IKJHG) gegeben hatte, liegen die Reformpläne seit dem Scheitern der Ampelkoalition auf Eis. Was bedeutet das für das seit langem geforderte Ziel, die Kinder- und Jugendhilfe inklusiv auszurichten? In dieser Episode des Heilpädagogik-Podcasts diskutieren Rihab Chaabane und Philipp Bryant mit der Professorin Dr. Karin Böllert über die Herausforderungen und Chancen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere im Kontext der Inklusion. Wie beurteilt die langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) die aktuelle Situation in der Kinder- und Jugendhilfe? Warum Karin Böllert den Begriff der „Kostenexplosion“ ablehnt und stattdessen mehr Wertschätzung vonseiten der Politik für die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe erwartet, erfahrt ihr in diesem spannenden Gespräch.

Shownotes: Karin Böllert empfiehlt den Podcast "Einerlikör und Jugendhilfe" https://jugendhilfe.podigee.io/ Ihr wollt mehr Content rund um die Heilpädagogik? Folgt unserem Instagram-Kanal: https://www.instagram.com/bhponline.de/ Wir freuen uns über Anregungen, Kritik oder Themenwünsche an: podcast@bhponline.de

Transkript anzeigen

00:00:00: Rihab Chaabane: Guten Morgen, guten Tag, guten Abend oder wann auch immer du gerade diese Folge hörst. Herzlich willkommen zu irgendwas mit Menschen, der Heilpädagogik-Podcast. Ich bin Rihab Chaabane.

00:00:13: Philipp Bryant: Ich bin Philipp Bryant Hallo!

00:00:14: Rihab Chaabane: Hi Philipp. Ja, wir sind es heute wieder zu zweit, gemeinsam mit einer besonderen Gästin, zu der wir gleich kommen. Und warum diese Folge auch in anderer Weise besonders ist, dazu kommen wir vielleicht am Ende auch nochmal. Unser Podcast, der erste und einzige Heilpädagogik-Podcast, Irgendwas mit Menschen, möchte euch die Heilpädagogik mit all ihren Facetten näher bringen.

00:00:44: Rihab Chaabane: Und wir diskutieren für euch gemeinsam mit verschiedenen Expert:innen über Themen, die die Heilpädagogik bewegen. Und wir sagen ja immer, wir machen so lange weiter, bis wir oder ihr keine Lust mehr habt. An unserer Lust wird es schon mal nicht Philipp, was ist denn eigentlich heute das Thema?

00:01:07: Philipp Bryant: Heute ist das Thema grob umschrieben mit dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und wir wollen da in Richtung der Inklusivierung dieses Handlungsfeldes heute sprechen.

00:01:23: Rihab Chaabane: mit wem? Ganz spannend!

00:01:22: Philipp Bryant: Und dazu haben wir eine Gästin eingeladen, die Karin Böllert heißt. Hallo Frau Böllert.

00:01:33: Karin Böllert: Hallo zusammen!

00:01:35: Rihab Chaabane: Schön, dass Sie da sind, Professor Dr. Karin Böllert, um es einmal vollständig zu sagen. Ich werde Ihnen mal, Frau Böllert, ein paar Fragen stellen, dass wir einfach so eine Idee bekommen, wer Sie so sind. Sie haben uns ja gerade auch im Vorgespräch erzählt, Sie waren 25 Jahre in der AGJ, also in der Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendhilfe und wurden diesen Sommer, wie Sie uns gesagt haben, großartig verabschiedet.

00:02:04: Rihab Chaabane: Bevor wir zu dieser Phase kommen, was war denn vorher bei Ihnen so im Leben los. Wie war Ihr Weg quasi bis dahin, bis Sie quasi den Vorsitz hatten in der AGJ? Wie sind Sie da gelandet?

00:02:16: Karin Böllert: Ich bin Diplompädagogin. Ich habe in Bielfeld an der Uni Diplomerziehungswissenschaft studiert mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik. Das war im Grunde genommen eine Fortsetzung dessen, was ich als Jugendliche schon immer gemacht habe. Ich war sehr aktiv in der Jugendarbeit der Gemeinde im Bistum damals. und habe da schon viele Sachen gemacht, Dekanats. und Jugendsprecherin und anderes. Und von daher lag es eigentlich nahe, dass ich dann auch in den Bereich beruflich reingehen würde. Und damals war es noch so, dass die Studienplätze über die ZVS vergeben wurden. Und das hat mich dann nach Bielefeld gebracht, war aber auf meiner Wunschliste auch ziemlich weit oben, weil ich da schon Leute kannte und habe dann da studiert bei Professor Dr. Hans-Uwe Otto. Ich würde schon sagen, auch wenn er leider mittlerweile verstorben ist, einer der führendsten Sozialpädagogen, die wir hatten, der aber selber von seiner eigenen Biografie her ohne Abitur über viele Umwege und sehr viel Praxiserfahrungen Professor geworden ist. Und ich glaube, diese biografische Erfahrung von ihm hat uns alle, die damals bei ihm studiert haben, auch sehr geprägt, weil Ich hatte sehr viel Praxis im Jugendamt. Ich sage mal im Spaß, mein halbes Studium hat im Jugendamt in Bielefeld stattgefunden. Ich habe dann hinterher auch promoviert und bin dann nach der sogenannten Wende nach Rostock gegangen. Und habe hier in Rostock eine Professur zwei Jahre lang vertreten und dann auch den Ruf in Rostock bekommen.

00:03:58: Karin Böllert: Die Jugendhilfe ist mir gefolgt bzw. ich der Jugendhilfe. Ich war dann hier in Rostock auch Sprecherin des Runden Tisches Jugend in Rostock. Ich war im Landesjugendhilfeausschuss und in vielen anderen Dingen engagiert und war auch zum ersten Mal Mitglied einer Jugendberichtskommission. Also diese Jugendberichte, die die Bundesregierung ja in jeder Legislaturperiode herausgibt, unmittelbar Mitglied. Und während der Zeit habe ich mich beworben auf eine Professur an der Universität Münster. Ich habe den Ruf auch bekommen und bin dann 2001 nach Münster gegangen, aber in Rostock mit dem ersten Wohnsitz immer geblieben und auch nie darüber nachgedacht, hier wieder wegzuziehen, obwohl Münster auch eine sehr, sehr lebenswerte und liebenswerte Stadt ist.

00:04:40: Rihab Chaabane: Mhm. Mhm. Ja, Das heißt, dieser Schwerpunkt oder dieser Fokus hat sich relativ früh abgezeichnet in ihrem Werdegang mit der Kinder- und Jugendhilfe. Und auch ihr Engagement ist, glaube ich, auch etwas, was sich so durchzieht durch ihre Biografie. Kai Timpe, also der Geschäftsführer des Berufsverbandes für Heilpädagogik, hat sie in unserer Redaktionskonferenz als Key-Influencerin der Kinder- und Jugendhilfe bezeichnet. Und wenn Sie jetzt ganz unbescheiden antworten müssten, inwiefern könnte er damit Recht haben?

00:05:19: Karin Böllert: Hab ich noch nie gehört.

00:05:30: Rihab Chaabane: Also wenn sie jetzt... Okay.

00:05:31: Karin Böllert: Also ganz unrecht hat er nicht. Aber ich würde sagen, dass das, was ich in und für die Kinder- und Jugendhilfe erreicht habe, ich immer nur erreichen konnte, weil ich das große Glück hatte, kontinuierlich auf Menschen zu treffen, die das Anliegen geteilt haben, mit denen ich auch wunderbar zusammenarbeiten konnte. Und eigentlich ist so mein ganzer Freundeskreis auch, also auch mein Privatleben. dadurch geprägt, dass die Menschen, mit denen mich ganz besonders viel verbindet, auch diejenigen sind, mit denen ich mich immer gemeinsam engagieren konnte.

00:06:09: Rihab Chaabane: So eine Teamplayerin auf jeden Fall. Okay, sehr schön.

00:06:10: Karin Böllert: Ja, ich habe auch immer gerne Mannschaftssportarten gemacht und nie gerne Einzelsportarten.

00:06:19: Rihab Chaabane: Ja, sehr spannend. Aktuell sind Sie ja offiziell pensioniert, aber so wie Sie uns im Vorgespräch so beschrieben haben, was Sie so tun, wirkt das sehr wenig oder ist davon wenig von Ruhestand irgendwie zu spüren. Gibt es denn sowas wie einen typischen Tagesablauf bei Ihnen? Und wenn ja, wie würde diese aussehen?

00:06:48: Karin Böllert: Also ich bin eine Frühaufsteherin, aber jetzt nicht mehr ganz so früh wie zu den Zeiten, wo ich noch hauptamtlich an der Uni war. Ich liebe es morgens, ehrlich gesagt, mit einer Tasse Kaffee und ich muss es zugeben, einer Zigarette draußen auf der Terrasse meinen Tag zu beginnen. Dann surfe ich so ein bisschen im Netz rum und dann geht es eigentlich schon wieder mit den Mails los, von denen ich nach wie vor leider immer noch zu viele bekomme.

00:06:57: Rihab Chaabane: Mhm.

00:07:18: Karin Böllert: Ich habe jeden Tag fast irgendwelche Treffen, Gott sei Dank mittlerweile ja auch digital möglich, lese sehr viel, schreibe und habe dann meine Zusammenkünfte mit den unterschiedlichen Gremien und auch mit der Projektarbeit. Um ein Beispiel zu nennen, letzte Woche hatten wir zum Beispiel hier in Schwerin ein World Cafe mit Vertretungen der Kinder- und Jugendhilfe hier aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. für ein Projekt erste Eindrücke zu sammeln, auch Schwerpunkte zu entwickeln. Was ist der Kinder- und Jugendhilfe wichtig? Was ist aber auch für Kinder und Jugendliche in diesem Bundesland hier wichtig? Und so ist jeder Tag irgendwie bisschen anders gefüllt. Langeweile habe ich ja vorhin schon gesagt, kenne ich überhaupt nicht, aber es macht einfach auch unheimlichen Spaß.

00:08:00: Rihab Chaabane: Mhm. Mh. Schön, ja, das spürt man auf jeden Fall, wenn man ihn zuhört, Frau Böllert.

00:08:13: Philipp Bryant: Mhm. Das stimmt ja. Ich würde gerne jetzt mit dem Elevatorpitch fortfahren und auch einen Gedanken aufgreifen, den Sie gerade geäußert haben. Also wir haben ja schon mitbekommen, dass offensichtlich so etwas wie eine Jugendhilfe nur im Team bearbeitet werden kann. Als Sie dieses World Cafe erwähnt haben, fand ich das eine sehr gute Überleitung zu dem, was wir jetzt vorhaben. Wir würden Sie nämlich gerne jetzt in die Lage versetzen, dass Sie gleich 60 Sekunden Zeit haben, eben eine sehr zentrale Frage aus unserer Sicht für das heutige Gespräch zu beantworten. Und deswegen starte ich jetzt mal den Timer und die Zeit läuft, sobald Sie beginnen zu antworten. Frau Böllert, die Frage für den Elevatorpitch lautet, was braucht es aus Ihrer gelingendes inklusives SGB VIII?

00:09:16: Karin Böllert: Wir waren in der letzten Legislaturperiode ja eigentlich schon so weit, inklusiv zu werden. Es gab ja einen Gesetzesentwurf, der die Kinder- und Jugendhilfe in allen Handlungsfeldern inklusiv werden lassen sollte, der auch gemeinsam erarbeitet worden ist von der Kinder- und Jugendhilfe, von den Eingliederungshilfen mit Selbstvertretungen junger Menschen. Und wir hätten uns sehr gewünscht, dass der Bundestag in seiner allerletzten Sitzung vor den Wahlen diesem Gesetzentwurf zugestimmt hätte, zumal er im Bundesrat auch schon beraten worden ist. Und es ist die vierte Legislaturperiode, wo dieses Gesetz nicht zustande gekommen ist. Und das ist ein Armutszeugnis für die Politik und ihren Versprechungen, die sie jungen Menschen gegenüber machen.

00:10:06: Philipp Bryant: Gut, ich habe das jetzt so wahrgenommen, dass Sie das als Antwort setzen. Das ist super. Sie hätten noch neun Sekunden mehr Zeit gehabt, aber wir nehmen das auch gerne so. Jetzt sagen Sie ja, wenn ich Sie richtig verstehe, im Grunde genommen haben wir uns über einen schon relativ langen Zeitraum sehr partizipativ mit den unterschiedlichen beteiligten Gruppen auseinandergesetzt, haben Dinge erarbeitet und es lag praktisch alles unterschriftsreif auf dem Tisch. Und jetzt ist es nicht so gekommen, dass das in dieser letzten Sitzung verabschiedet wurde. Können Sie so etwas wie einen aktuellen Stand mit uns teilen? Also wie schätzen Sie die Lage denn jetzt ein?

00:10:56: Karin Böllert: Ich verliere meinen Optimismus nicht, dass es dieses Gesetz tatsächlich noch geben wird. Es gibt Signale aus dem jetzt BMB FSFJ, also aus dem neuen Ministerium, wo die Bildung ja jetzt integriert worden ist, dass es nach wie vor das Bemühen gibt, dieses Gesetz tatsächlich auch Realität werden zu lassen. Man wird, so sind die politischen Gepflogenheiten, den fertigen Gesetzentwurf nicht wieder aus der Schublade nehmen können und ihn in die Beratungen des Bundestags einspeisen. Aber man hat zumindest erklärt, dass man die Diskussionspunkte, die im Bundesrat schon genannt worden sind, der letzten Legislaturperiode aufgreift und man weiter daran festhält, dass es eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe geben soll. Mehr kann ich da im Augenblick nicht zu sagen, weil das Ministerium sich zurzeit neu aufstellt und man noch nicht genau weiß, welche Richtung es eigentlich gehen wird.

00:12:04: Rihab Chaabane: Bei der Entwicklung oder Erarbeitung von diesem Gesetzesentwurf für eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe war ja die AGJ, die ja schon zur Sprache kam, sehr federführend mit dabei, die Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendhilfe. Vielleicht können Sie uns kurz einen Einblick für die Personen, die die AGJ nicht kennen. Was ist eigentlich die AGJ und welchen politischen Einfluss oder welche Wege gibt es für so einen Verband wie die AGJ, da Einfluss auch politisch auszuüben.

00:12:41: Karin Böllert: Also wenn uns jemand fragt, was ist eigentlich die AGJ, sagen wir gerne, das ist das Dach der Dächer der Kinder- und Jugendhilfe. Das heißt, wir haben über 100 Mitglieder mittlerweile und das sind Institutionen, Organisationen, die bundesweit im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe aktiv sind. Und wir unterscheiden sechs Mitgliedergruppen. Wir haben alle Bundesländer dabei. Wir haben die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter dabei.

00:12:48: Rihab Chaabane: Mhm.

00:13:10: Karin Böllert: Wir haben die Wohlfahrtspflege dabei. Wir haben die Wohlfahrtsverbände als eine weitere Mitgliedergruppe dabei. Und dann gibt es eine große Mitgliedergruppe Fachorganisationen der Kinder- und Jugendhilfe. Ich sage mal zum Beispiel SOS Kinderdorf ist da Mitglied. Und dann gibt es eine Gruppe, die sich mit Personal und Forschung auseinandersetzt, wo dann die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, der Fachbereichstag, der Erziehungswissenschaftliche Fakultätentag, auch ihr Verband, Mitglied sind, wo also diejenigen sich zusammengetan haben, auch die Gewerkschaften, die im weitesten Sinne die Fachkräfte und die Forschung und Wissenschaft in der Kinder- und Jugendhilfe repräsentieren.

00:13:45: Rihab Chaabane: Mhm.

00:13:59: Karin Böllert: Und wir tagen immer im Gesamtvorstand. Dann gibt es einen Geschäftsführungsvorstand, der ist gerade auch neu gewählt worden, meine Nachfolgerin Gabi Weizmann ja jetzt meine Nachfolger auch angetreten hat. Und wir sind politikberatend tätig im Hinblick auf die Bundesebene. Aber die besondere Bedeutung der AGJ kommt, glaube ich, darin zum Ausdruck, dass wir uns tagespolitisch, aber auch fachpolitisch, längerfristig in alle Diskurse einmischen, mit Stellungnahmen, mit Positionspapieren, mit Diskussionspapieren. Und die AGJ hat dieses sogenannte Konsensprinzip. Und ganz am Anfang, als ich mit der AGJ in Berührung gekommen bin, habe ich gedacht, Konsensprinzip, so ein bisschen so wie in der DDR, immer alle stimmen gleich ab.

00:14:52: Rihab Chaabane: Mhm.

00:14:52: Karin Böllert: Da habe ich aber sehr stark auch dazugelernt und den Vorteil und auch die Wirkmacht dieses Konsensprinzips schätzen und kennengelernt, weil Konsens heißt, wenn wir etwas verabschieden oder abstimmen, dann hat jeder im Vorstand seine Stimme, aber er repräsentiert ja damit auch seine Mitgliedergruppe. Und die Mitgliedergruppen haben unterschiedliche Stimmenanteile auch im Vorstand.

00:15:13: Philipp Bryant: Mhm.

00:15:19: Karin Böllert: Und es kann zum Beispiel von den Bundesländern ein Bundesland mit Nein stimmen, wenn die anderen beiden mit Ja stimmen, kein Problem. Wenn aber alle Bundesländer mit Nein stimmen würden oder die komplette Wohlfahrtspflege sagen würde, das tragen wir nicht mit, dann ist diese Position tot. Dann wird dieses Papier nicht veröffentlicht. Umgekehrt heißt das aber auch, wenn wir ein Positionspapier veröffentlichen, heißt das dass das der Konsens der gesamten Kinder- und Jugendhilfe bundesweit ist. Und das macht unsere Aussagen mächtig.

00:15:56: Rihab Chaabane: Spannend, ja.

00:15:59: Philipp Bryant: Sehr. Ich würde gerne nochmal auf diese zweiten Teil der Frage zurückkehren. Wie übt denn die AGJ in so einem Prozess Einfluss aus? Wie können wir uns das vorstellen? Wir haben schon gehört, es gibt Positionspapiere oder Diskussionspapiere, aber sie werden doch sicherlich auch beteiligt sein in Gremien. Sie haben ja gesagt, es wird politikberatend gearbeitet. Wie können wir uns das vorstellen?

00:16:27: Karin Böllert: Im Vorstand der AGJ selber sind als Gast auch immer Vertreterinnen des Ministeriums mit anwesend, sodass die die Diskussion unmittelbar mitbekommen. Wir führen aber auch regelmäßig parlamentarische Gespräche mit den großen demokratischen Parteien des Bundestages. Wir machen Fachveranstaltungen, wo die Politik zu eingeladen wird. vier Jahre, gerade dieses Jahr wieder in Leipzig, findet der Deutsche Kinder- und Jugendhilfetag statt. ist die größte europäische Veranstaltung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Wir hatten gut 30.000 Teilnehmende dieses Mal da, über 400 Fachveranstaltungen, über 400 Messestände. Es war ein grandioses Fest der Demokratie. Das Land Sachsen hat sich phänomenal präsentiert. Die Stadt Leipzig war so was von engagiert.

00:17:09: Philipp Bryant: Wow!

00:17:26: Karin Böllert: Da werden auch, ich sag mal, Lernprozesse für alle angestoßen werden, weil es war so ein pulsierendes, freudiges Leben der Kinder- und Jugendhilfe und das in einem Bundesland, was ja sehr stark eher durch die AfD auch wahrgenommen und auch entsprechend gelabelt wird und zu sehen, dass die Mehrzahl der Menschen diesem Bild entgegentritt und sagt, wir sind immer noch die Mehrheit und wir überlassen weder dieses Bundesland noch Teile der jungen Menschen, rechtsextremistischen Parteien oder Ideologien, hat allen, glaube ich, enormen Aufschwung noch mal gegeben. Ein Teilnehmer hat gesagt, das Schönste ist, ich fahre jetzt mit einem Plan wieder nach Hause. Und das ist auch eine Wirkung, die die AGJ bei Einzelnen, aber dann eben zusammengenommen bei sehr, sehr vielen.

00:18:06: Rihab Chaabane: Hm. Hm.

00:18:19: Karin Böllert: immer wieder herstellen kann, weil wir kontinuierlich Fachveranstaltungen machen, die immer einen sehr großen Zulauf haben. Dann gibt es aber auch so etwas wie einen Zwischenruf. Das heißt, es gibt ein Thema, das ploppt auf einmal auf und wir wollen jetzt nicht bis zur nächsten Vorstandssitzung warten oder bis der Vorstand beschlossen hat, wir machen etwas dazu, sondern dann wird ein Zwischenruf veröffentlicht und der wird in alle politischen Kanäle eingespeist. Wir haben aber auch Gespräche zum Beispiel mit den Fachorganisationen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Wir haben jetzt Fachgespräche regelmäßig mit dem Gesundheitswesen. Wir treffen uns einmal im Jahr mit der KMK. Also wir sind auf sehr, sehr vielen Bühnen präsent und bespielen die dann entsprechend auch.

00:19:10: Rihab Chaabane: Ja, sehr schön. Wir stellen gerne die Frage, was gelingt gut, was gerade in Ihrer Tätigkeit oder ganz allgemein in der Kinder- und Jugendhilfe, selbst wenn gerade auf dieser politischen Beschluss-Ebene eine gewisse Stagnation stattfindet, höre ich trotzdem bei Ihnen, Sie haben ja gesagt, Sie verlieren Ihren Optimismus nicht, da ist ganz viel Energie. Was würden Sie noch sagen? Was gelingt gerade gut? Sie haben schon ein bisschen was genannt, aber ich möchte nochmal, ja, nochmal in Fokus rücken.

00:19:48: Karin Böllert: Also wir greifen ja auch Themen vorausschauend auf. Also das Thema Inklusion, was uns heute hier ja beschäftigt, ist ein Thema, was in der AGJ, ich würde sagen, so ungefähr seit 20 Jahren schon verankert ist. Wir haben immer wieder auch Gespräche gehabt mit behinderten jungen Menschen. Wir haben Gespräche gehabt mit den Institutionen, die diese Interessen vertreten. Von da muss man, wenn man in der AGJ oder insgesamt in der Kinder- und Jugendhilfe aktiv ist, etwas lernen, was mir am Anfang sehr schwer gefallen ist, nämlich geduldig zu sein und einen langen Atem zu haben. Was zum Beispiel sehr positiv ist, die AGJ hat seit mehreren Legislaturperioden auch immer wieder Projekte zur Jugendpolitik. Jugendgerechte ehe es im Augenblick unser Projekt, wo wir sehr hoffen, dass das verlängert werden wird, jetzt in der neuen Legislaturperiode.

00:20:45: Karin Böllert: Und auch wenn die Anliegen junger Menschen immer noch viel zu selten gleichberechtigt berücksichtigt werden in politischen Entscheidungsprozessen, kann man heute Kinder- und Jugendhilfe sich ohne Jugendpolitik eigentlich nicht mehr vorstellen. Und junge Menschen haben sich auch zunehmend mehr selbst ermächtigt und werden davon dabei auch von uns unterstützt, ihre Interessen in Diskurse einzubringen oder aber eben auch öffentlichkeitswirksam zu kritisieren, wenn sie mal wieder aus- vorgehalten werden.

00:21:19: Philipp Bryant: Ja, sehr spannend. Also wir hören ganz viel Partizipation von den betreffenden Gruppen heraus. Das finde ich bemerkenswert positiv. Ich würde gerne noch so einen anderen Aspekt mit in die Unterhaltung mit aufnehmen. Wir können ja grundsätzlich feststellen, wenn wir über die letzten 20 Jahre auf das System der Kinder- und Jugendhilfe schauen, das ist unglaublich. dass es unglaublich große Steigerungsraten gegeben hat, sowohl in den tatsächlichen Fallzahlen als auch in der Kostenentwicklung, die das letztendlich für die Träger auch bedeutet. Können Sie dazu eine Einschätzung vornehmen? Also wie kann aus Ihrer Sicht diese Kostenexplosion Schrägstrich die deutliche Zunahme der Fälle erklärt werden?

00:22:09: Karin Böllert: Also ich würde gar nicht von einer Kostenexplosion an der Stelle sprechen, weil Kostenexplosion ist ein Begriff, der in den aktuellen Debatten ja immer wieder auftaucht. Der Bundeskanzler hat den Kommunalen Spitzenverbänden eine Aufgaben- und Ausgaben-kritische Überprüfung der Kinder- und Jugendhilfe versprochen.

00:22:31: Karin Böllert: Ich glaube, dass er dieses Versprechen wird brechen müssen, wenn er den aktuellen Kinder- und Jugendbericht gelesen hat, was er vielleicht nicht tut. Der Jugendbericht ist noch nicht in den parlamentarischen Beratungen und auch im Bundesrat auf der Tagesordnung gewesen, aber der macht eigentlich deutlich, dass die Kinder- und Jugendhilfe für das Aufwachsen junger Menschen unverzichtbar ist und Kinder und Jugendliche in Deutschland ohne Kinder- und Jugendhilfe einfach gar nicht mehr groß werden.

00:23:01: Rihab Chaabane: Hmm.

00:23:02: Karin Böllert: und dass die Kinder- und Jugendhilfe auch so etwas wie Zuversicht vermittelt in diesem Prozess des Aufwachsens, so etwas wie Verlässlichkeit auch für Unterstützung repräsentiert. Und der Jugendbericht macht deutlich, wie viele andere Akteure auch, dass die Jugendhilfe sich ja enorm ausgeweitet hat. Sie hat ja immer mehr Handlungsaufträge auch bekommen. Und das kann man nicht alles ehrenamtlich stemmen. Sowas kostet einfach auch Geld. Und was wäre mit vielen jungen, zum Beispiel unbegleitet Geflüchteten geworden, wenn wir nicht die Kinder- und Jugendhilfe gehabt hätten? Und ich würde von Politik bis zum Kanzler wirklich mehr Wertschätzung für das erwarten, was Kinder- und Jugendhilfe für die jungen Generationen in unserem Land leistet, bevor man vorschnell Versprechungen

00:23:32: Rihab Chaabane: Hm.

00:23:55: Karin Böllert: in einer populistischen Art und Weise von sich gibt, die letztendlich der Qualität der Leistungen nicht gerecht wird.

00:23:56: Philipp Bryant: Mhm.

00:24:04: Rihab Chaabane: Also das heißt, Thema der Kostenentwicklung, auch wenn man da quasi nur auf die Zahlen der Kosten blickt, gab es natürlich eine große Steigerung. Aber das muss man immer, wie Sie sagen, in diesem Kontext sehen, wie ist das Leistungsspektrum der Kinder- und Jugendhilfe auch ausgeweitet worden, entwickelt worden. Und das hat ja mit dem Bedarf auch zu tun. Das ist ja nichts, was man einfach erfindet. sondern der Bedarf steigt. Und an der Stelle muss ich an die Corona-Pandemie denken. Sie haben das ja quasi alles auch miterlebt, mitverfolgt. Inwiefern hatte denn die Corona-Pandemie da auch Einfluss auf Kinder und Jugendliche im Allgemeinen und dann eben auch auf die Kinder- und Jugendhilfe?

00:24:55: Karin Böllert: Also die Corona-Pandemie war, glaube ich, so die schlimmste Zeit, wir alle erlebt haben, weil wir in eine Situation hineingeraten sind, auf die man auch gar nicht vorbereitet sein konnte. Wir haben alle gelernt, wir haben alle Fehler gemacht in dem Prozess. Aber was fehlt ist, dass wir aus diesem Prozess auch Schlussfolgerungen gezogen haben, also aus diesem Prozess auch gelernt haben. was deutlich geworden ist und immer wieder kritisiert worden ist, dass die Stimme von Kindern und Jugendlichen in diesem Prozess nicht gehört worden ist. Und es hat viele Versprechungen gegeben, das wird uns nicht nochmal wieder passieren und ihr werdet das nicht nochmal erleben, dass wir über euch hinweg entscheiden, ohne wenigstens vorher einmal zugehört zu haben. Tatsächlich passiert das aber nach wie vor am laufenden Band. Und für die jungen Menschen selber ist die Corona-Pandemie zwar Vergangenheit, das sagen sie auch selber so, aber die Folgen sind nach wie vor spürbar. Dass wir uns heute mit dem Thema Einsamkeit auseinandersetzen müssen, ist etwas, was wir vorher als Thema gar nicht gekannt haben, was aber auch Folge der Corona-Pandemie ist. Dass junge Menschen vereinsamt sind, sich bis heute einsam fühlen. und die Frage der psychischen Gesundheit junger Menschen heute einen ganz anderen Stellenwert hat. Sie selber sagen mit über einem Drittel, dass sie sich psychisch belastet fühlen, aber keine entsprechenden Unterstützungs- oder therapeutischen Angebote finden, die ihnen in dieser Situation zur Seite stehen können. Gleichzeitig hat aber die Corona-Pandemie auch nochmal deutlich gemacht, wie wichtig die Kinder- und Jugendhilfe ist, weil das Wegfallen auch der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe hat ja entscheidend auch zu den Belastungen der jungen Generationen beigetragen. Man hatte keine Orte mehr, wo man sich treffen konnte. Die offene Kinder- und Jugendarbeit war im Grunde genommen geschlossen. Wir haben übrigens auch Ehrenamtliche verloren, die quasi die Felder, wo sie sich in der Jugendhilfe engagieren könnten. auch nicht mehr vorgefunden haben. Und trotzdem hat man viel versucht, digitale Angebote entwickelt. Die Kitas waren dann nach und nach auch wieder auf. Übrigens auch ein Punkt, der zu einer erheblichen Ausgabensteigerung der Kinder- und Jugendhilfe beiträgt, dass wir einen enormen Ausbau der Kindertagesbetreuung erlebt haben. Und genau dieser Bereich ist ja auch der größte Bereich in der Kinder- und Jugendhilfe mittlerweile.

00:27:40: Philipp Bryant: Mhm.

00:27:43: Karin Böllert: Und den kann man eben nicht kostenfrei zur Verfügung stellen, wenn man sagt, jedes Kind in Deutschland hat ein Recht auf einen Kitaplatz. Jedes Kind, das in Deutschland lebt, hat übrigens auch ein Recht auf einen Kitaplatz, unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit. Und dieser Ausbau, ja noch vorangetrieben werden soll, indem es demnächst jetzt auch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter gibt,

00:27:52: Rihab Chaabane: Hmm.

00:28:12: Karin Böllert: Der kostet einfach. Und das Problem sind, glaube ich, an der Stelle nicht die Ausgabensteigerungen, sondern das Problem ist, dass der erheblichste Anteil, nämlich mit zwei Drittel der Ausgaben der Kinder- und Jugendhilfe, den Kommunen gestemmt werden muss. Und die sind tatsächlich überfordert, weil sie immer mehr Aufgaben von Seiten des Bundes, aber auch der Länder zugeschrieben bekommen, ohne dass die entsprechenden Finanzströme diesem Aufgaben- und Ausgabenzuwachs folgen.

00:28:45: Rihab Chaabane: Okay, ja, vielen Dank für diese Erläuterung. Wir machen an der Stelle einen kleinen Break mit unseren Fachfragen, beziehungsweise ja, zum Teil sind es ja auch Fachfragen, die wir jetzt stellen, nur machen wir das im Format von A oder B. Das heißt, Sie haben jetzt die Aufgabe, spontan, schnell sich für das ein oder andere zu entscheiden. Sie müssen das nicht begründen. Es gibt da auch kein richtig oder falsch. Sie haben aber dann auch die Möglichkeit, einen Joker zu wählen, um zu passen sozusagen. Und zum Schluss dürfen Sie natürlich, wenn Sie merken, dazu muss ich jetzt unbedingt noch was sagen, haben Sie natürlich noch mal die Möglichkeit, da ein Statement noch mal zu setzen. Philipp, hast du was für Frau Böllert?

00:29:36: Philipp Bryant: Ja, auf jeden Fall. Ich würde gerne wissen, wenn wir Sie als Expertin eingeladen haben, wie Sie insgesamt das System der Kinder- und Jugendhilfe einschätzen. Ich würde es als Gegenüberstellung fragen wollen. Nämlich geht es um Unterstützung, Assistenz auf der einen Seite oder Kontrolle auf der anderen Seite.

00:30:01: Karin Böllert: Unterstützung und Assistenz.

00:30:02: Philipp Bryant: Mhm.

00:30:04: Karin Böllert: War das jetzt B oder A? Weiß ich gar nicht.

00:30:05: Rihab Chaabane: Genau, können Sie gerne auch so machen. Sie können das so nennen. Systemische Veränderungen anstreben oder individuelle Hilfen verbessern.

00:30:18: Karin Böllert: Systemische Veränderung.

00:30:32: Rihab Chaabane: Parteiname oder Selbstbestimmung?

00:30:39: Karin Böllert: schwierig.

00:30:44: Philipp Bryant: Sie hätten noch einen Joker.

00:30:44: Karin Böllert: B Ja, den spare ich mir noch auf, wer weiß was noch kommt.

00:30:52: Philipp Bryant: Das Behinderungsverständnis, den Begriff haben Sie ja auch schon einmal kurz erwähnt. Da würde ich gerne jetzt einmal hinschauen und ich würde gerne von Ihnen wissen, ob es im Kontext Ihres Verständnis ⁓ Behinderung oder Beeinträchtigung geht.

00:31:07: Karin Böllert: Ich glaub, jetzt nehm ich den Joker.

00:31:10: Rihab Chaabane: Okay, ich hätte noch eine Frage für Sie, eine letzte, da Sie ja beides machen, bin ich jetzt auch sehr gespannt. Forschung oder politische Arbeit?

00:31:23: Rihab Chaabane: Kurze Audiodeskription, Frau Karin Böllert macht ein schmerzliches Gesicht.

00:31:28: Philipp Bryant: Hahaha!

00:31:33: Karin Böllert: Das eine geht nicht ohne das andere, das ist echt schwierig.

00:31:40: Karin Böllert: Das echt gemein. Ich hätte den Joker doch noch behalten sollen.

00:31:42: Rihab Chaabane: Ja.

00:31:45: Karin Böllert: wenn ich mich entscheiden müsste. Ich glaube, ich würde lieber politisch arbeiten.

00:31:51: Rihab Chaabane: Vielen Dank, Gratulation, Sie haben es geschafft.

00:31:58: Karin Böllert: Aber zu diesem Joker noch mal mit den Behinderten und Beeinträchtigten, es werden ja beide Begriffe verwendet. Und die Behindertenverbände bezeichnen sich als Behindertenverbände und nicht als Verbände von Beeinträchtigten. Und der Behindertenbegriff hat aber auch bei uns leider ja immer noch so einen diskriminierenden Unterton. Deswegen habe ich an der Stelle den Joker genommen, weil in der Debatte sagt ja eigentlich, Menschen werden behindert. Sie sind nicht behindert, sie werden behindert. Und deswegen ist der Begriff als solches widersprüchlich, aber beeinträchtigt ist mir einfach zu schwach an der Stelle auch. Deswegen der Joker.

00:32:39: Rihab Chaabane: finde ich eine gute Überleitung. Ich fände es schön, wenn wir uns in der zweiten Hälfte tatsächlich noch mal spezifischer auch mit dem inklusiven SGB VIII beschäftigen und vielleicht auch gleich da angedockt, wie ist denn das Verständnis von Behinderung? Also Sie haben es gerade schon angedeutet, dass es ja eher behindert werden, also dieses soziale Verständnis von Behinderung. Ist es etwas, was Sie aus Ihrer Expertise heraus so selbstverständlich sagen oder ist es auch ein Konsens, dass man sich quasi im Kontext dieses Gesetzesentwurf einig ist darüber, über diese soziale Konstruktion von Behinderung, also behindert werden statt behindert oder beeinträchtigt sein.

00:33:27: Karin Böllert: Man ist sich da schon einig. Man muss vielleicht vorausschauend ja doch erstmal festhalten, ob die Kinder- und Jugendhilfe inklusiv ist oder nicht oder wird, ist nicht ausschließlich von diesem Gesetz abhängig. Weil wir haben ja schon das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz und danach muss eigentlich die ganze Kinder- und Jugendhilfe schon inklusiv sein. Auch wenn es nicht immer so wahrgenommen wird. Das, worum es bei dem weiteren Gesetz geht, ja, dass die Eingliederungshilfen und die Hilfen zur Erziehung zusammengeführt werden sollen und damit dieser Verschiebebahnhof von Eltern mit behinderten Kindern oder die behinderten Kinder selber endlich ein Ende hat. Weil man ja, bislang formal meint, feststellen zu können. Muss mal eben gerade einen Schluck trinken.

00:34:19: Rihab Chaabane: Ich finde es auch gerade ganz gut, dass Sie noch einmal einen Schritt zurückgehen und überhaupt erklären, was überhaupt das Ziel dieses Inklusiven, was da eigentlich passieren soll, weil wir sind da irgendwie so mittendrin gestartet. Deswegen finde ich das gerade super, dass Sie es nochmal erläutern.

00:34:22: Karin Böllert: HM! Also das Ziel ist ja, dass quasi alle Kinder in die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe kommen. Alle. Bislang ist es so, alle, mit Ausnahme der körper- und geistig behinderten Kinder. Die seelisch behinderten Kinder gehören jetzt schon dazu. Und das führt in der Praxis für die Betroffenen dazu, dass immer geguckt wird.

00:34:50: Philipp Bryant: Mhm. Mhm.

00:34:58: Karin Böllert: Ist dieses Kind jetzt seelisch behindert? Ja, dann gehört es in die Kinder- und Jugendhilfe. Ist es vielleicht aber auch schon eine geistige Behinderung? Nein, dann gehört es in die Eingliederungshilfen. Und daraus ergeben sich auch ganz unterschiedliche Ansprüche an Leistungen und Unterstützungen. Und für die Betroffenen ist das wirklich eine Qual, weil sie werden hin und her geschickt, weil sich keiner so richtig verantwortlich fühlt. Wobei die Eingliederungshilfen auch eine tolle Arbeit leisten. Es soll jetzt nicht so sein, als würden die disqualifiziert werden. Es geht wirklich nur darum zu sagen, alle Kinder, alle jungen Menschen in Deutschland haben einen Ort, der für sie Verantwortung übernimmt. Und das ist die Kinder- und Jugendhilfe. Das ist quasi der Ausgang der Überlegungen. weil wir ja gesagt haben, wir gucken manchmal auch so ein bisschen zurück, es hat diese Forderungen schon vor vielen, vielen Jahren gegeben. Und da waren aber eigentlich die Interessensvertretungen der Behinderten, wie zum Beispiel die Lebenshilfe, skeptisch. Schafft die Jugendhilfe das? Möchten wir tatsächlich, dass unser Kind demnächst Adressatin, Adressat der Kinder- und Jugendhilfe ist? Schafft die Jugendhilfe es, besonderen Belangen unseres Kindes auch gerecht zu werden? Und diese Zweifel waren berechtigt, sind aber mittlerweile nicht mehr existent. Das heißt, in diesem gemeinsamen Ringen dieses Gesetz jetzt in der vierten Legislaturperiode haben wir auch uns selber erst mal angenähert, verständigt eine gemeinsame Strategie entwickelt. Genauso wie die Betroffenen auch. Wir haben mit den Care-Leavern,

00:36:40: Rihab Chaabane: Hmm...

00:36:46: Karin Böllert: eine Selbstorganisation junger Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe, die in Pflegefamilien oder in stationären Einrichtungen aufgewachsen sind. Und spiegelbildlich haben sich jetzt auch behinderte junge Menschen zusammengetan und bringen ihre Interessen ein. Und wir haben erstmalig die Situation, dass wirklich alle alle an einem Strang ziehen. Und wenn Das gelingen würde, heißt das noch lange nicht, dass alles supertoll gelingt. Es soll ja auch eine Übergangsphase geben, die hauptsächlich organisatorischen Veränderungen geschuldet ist. Auch die Fachkräfte müssen sich ja annähern, weil ich sag mal, wer Sozialpädagogik studiert hat, unter Umständen von Inklusion nie was gehört in seiner Ausbildung oder weiß gar nicht, wie kann ich mit Behinderten

00:37:16: Philipp Bryant: Mhm. Mhm.

00:37:41: Karin Böllert: angemessen umgehen, wie kann ich eine Diagnose auch lesen? Das müssen wir aber gar nicht alleine schaffen, weil es geht ja nicht nur darum, die Behinderten, jungen Menschen und ihre Familien in die Kinder- und Jugendhilfe zu integrieren, sondern auch die Fachkräfte, die eine gute Arbeit bislang für diese Behinderten und mit den Behinderten geleistet haben, werden ja auch Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Wir werden noch multiprofessioneller. als wir es schon sind, wenn man uns lässt. Einsatz ist aber glaube ich auch noch wichtig an der Stelle. Wir sind zwar abhängig von politischen Entscheidungsprozessen und natürlich auch von den entsprechenden Finanzströmen, die solchen Entscheidungsprozessen folgen müssen. Aber nichtsdestotrotz ist die Kinder- und Jugendhilfe schon jetzt sehr viel inklusiver, als mancher es wahrhaben möchte. Weil wenn man mit Vertretungen redet, die in den stationären Erziehungshilfen, in der sogenannten Heimerziehung tätig sind, dann haben sie schon einen ganz großen Anteil behinderter Kinder in ihren Einrichtungen. Oder es gibt eine sehr, sehr große, die einzige Längsschnittstudie, die sogar der Bundestag beschlossen hat, wo Care Lever interviewt worden sind, also wo quasi über eine sehr, lange Epoche geguckt wird. Was hat die Kinder- und Jugendhilfe für junge Menschen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen konnten, geleistet? Wo hätten wir besser sein müssen, als wir es sind? Was gibt es für Veränderungsbedarfe? Und von denen hat mindestens ein Viertel eine diagnostizierte Behinderung gehabt, als sie in der stationären Erziehungshilfe waren. Von daher, können es, wenn man uns die Rahmenbedingungen ermöglicht, es tatsächlich für alle auch zu leisten.

00:39:41: Philipp Bryant: Und die Rahmenbedingungen, das würde ja auch beinhalten, das haben Sie ja auch schon angesprochen, dass Sie noch multiprofessioneller das Ganze denken und werden wollen. Welche Rolle spielen denn für Sie diese anderen Professionen und mit anderen Professionen meine ich all das, was nicht soziale Arbeit, grob gesagt, jetzt ist. Welche Rolle spielen die anderen Professionen in diesem Kontext eines inklusiven KJHG?

00:40:08: Karin Böllert: Ohne die wird es nicht gehen. Also Ihr Bundesverband, für den dieser Podcast hier auch aufgenommen wird, würde dann sehr viel stärker noch in der Kinder- und Jugendhilfe heilpädagogische Angebote realisieren können. Wir haben jetzt ja schon die Situation, dass in Einrichtungen, die dezidiert als inklusiver Einrichtungen finanziert sind und auch adressieren dürfen als inklusive Einrichtung, da haben wir einen deutlich besseren Personalschlüssel und da arbeiten dann eben auch Eingliederungshilfen, Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe sozialpädagogisch, sonderpädagogisch, heilpädagogisch zusammen. Und das wird Standard werden müssen. Das Schwierige im Augenblick ist, dass wir Einrichtungen haben, die de facto auch inklusiv sind.

00:40:36: Philipp Bryant: Mhm.

00:40:53: Rihab Chaabane: Hm.

00:41:04: Karin Böllert: die aber von der Finanzierung her nicht die Möglichkeit haben, diese Multiprofessionalität abzubilden, weil sie zum Beispiel einen sehr viel schlechteren Personalschlüssel haben. Und das wird sich verändern müssen. Und wir werden auch in der Ausbildung multiprofessioneller sein müssen, weil wir haben im Rahmen dieses Beteiligungsprozesses zur Entwicklung dieses Gesetzes haben wir eine Expertise in Auftrag gegeben, die einfach mal geguckt hat, wo kommt in den verschiedenen Studiengängen Sonderpädagogik, Sozialpädagogik, Heilpädagogik, aber auch in den fachschulischen Ausbildungen eigentlich das Thema Inklusion vor. Und man kann sagen, wenn man jetzt eine akademische Priorisierung nicht, aber eine Karriereleiter anstrebt, fachschulisch taucht das Thema auf. Bei Fachhochschulen wird die Luft schon dünner. Und universitär gibt es eine spezialistische Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion, die der Sonderpädagogik vorbehalten ist, in der Sozialpädagogik so gut wie gar nicht vorkommt. Umgekehrt aber in der Sonderpädagogik der sozialpädagogische Teil und die Kinder- und Jugendhilfe nicht vorkommt. Und wenn wir wirklich inklusiv fachlich sein wollen,

00:42:26: Rihab Chaabane: Hmm...

00:42:30: Karin Böllert: dann müssen wir eigentlich nicht nur die Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe verändern, sondern wir müssen auch die Ausbildungsinhalte neu aufstellen.

00:42:39: Rihab Chaabane: Das ist so spannend, Frau Böllert, weil Sie immer so eine super Vorlage geben. Also ich habe dann immer schon so eine Folgefrage im Kopf und dann schneiden Sie es schon an und das ist super. genau, zu den Fachkräften. Wir vertreten ja hier mit diesem Podcast die Heilpädagoginnen bzw. heilpädagogische Kompetenzen, wenn wir es irgendwie weiterfassen, wenn wir da nicht nur quasi von der Profession an sich sprechen.

00:42:45: Philipp Bryant: Ja.

00:43:09: Rihab Chaabane: Und wir haben schon mal in anderen Folgen über quasi nicht im Kontext von inklusiven KJHG gesprochen, sondern ganz allgemein Kinder- und Jugendhilfe und haben da schon festgestellt, die Heilpädagogik ist da noch nicht so klassisch vertreten, wie wir es vielleicht auch wünschen würden oder wie wir auch sehen, dass die heilpädagogische Kompetenz da wunderbar eigentlich reinpassen würde. Und jetzt ist es ja auch so mit dem inklusiven SGB VIII, wir meinen, da passt die heilpädagogische Kompetenz oder heilpädagogische Kompetenzen, sind da super gefragt, unserer Meinung nach. Aber was fehlt denn der klassischen Heilpädagogik, wenn es so was wie eine klassische heilpädagogische Profession gibt, aber beziehungsweise welche Kompetenzen würden denn Heilpädagoginnen fehlen aus ihrer Sicht, in diesem neuen Bereich auch wirklich gut anzukommen und Fuß zu fassen.

00:44:15: Karin Böllert: Das ist keine einfach zu beantwortende Frage, weil ich mir als Sozialpädagogin eigentlich auch gar nicht anmaßen möchte zu sagen, was die Heilpädagogen alles machen sollten. Ich glaube, wichtig wäre, über den Tellerrand des jeweiligen Einzelfalls, also des Kindes, hinausgucken zu können. Mehr auch in Strukturen zu denken. Weil...

00:44:24: Rihab Chaabane: Hmm.

00:44:38: Philipp Bryant: Mhm.

00:44:43: Karin Böllert: Die Inklusion natürlich erst mal eine unterstützende Leistung für behinderte oder beeinträchtigte Kinder und junge Menschen darstellt. Aber sie sollte auch Ausdruck einer diversen Gesellschaft sein, in der jedes Kind die gleichen Rechte und Teilhabemöglichkeiten hat. Und das ist eher ein systemischer Blick und ein struktureller.

00:45:11: Rihab Chaabane: Hmm.

00:45:12: Karin Böllert: Ich sage mal, wenn eine Kita so weiter arbeitet wie immer oder auch ein Jugendzentrum so weiter arbeitet wie immer und da würde jetzt ein behindertes Kind oder ein behinderter junger Mensch daran teilhaben wollen, dann haben wir die Situation bislang, ja bring doch deinen Inklusionshelfer mit. Das könnte dann zum Beispiel ein Heilpädagoge sein. Das wird aber die Institution als Institution nicht verändern. Inklusion heißt ja, stärker darüber nachzudenken, wie wir uns strukturell so aufstellen müssen, dass es keine Barrieren mehr gibt, was die halbpädagogische Unterstützung im Einzelfall nicht überflüssig macht. Aber wir brauchen ein anderes Menschenbild und wir brauchen ein anderes Institutionenverständnis zusätzlich, wenn wir inklusiv sein möchten.

00:46:02: Rihab Chaabane: Mh.

00:46:04: Philipp Bryant: Super. Wenn ich jetzt diesen Gedanken, an dem wir gerade uns bewegt haben, nochmal so bisschen resümierend aufgreife, dann würde ich aber schon sagen, haben Sie gerade sehr deutlich an Kompetenzen orientiert gesprochen, auch bei Ihrer vorherigen Antwort, die sehr deutlich eben an die Fachkräfte aus der heilpädagogischen oder inklusivpädagogischen Profession orientiert sind. ich würde sagen, für das was Sie besprochen haben, bringen wir schon ziemlich vieles mit und ich habe so das Gefühl, vielleicht korrigieren Sie mich, wenn ich das falsch interpretiere, aber wir sind die ganze Zeit so einen zugegebenermaßen sehr schwierigen Begriff drum herum haben wir gesprochen und das wäre der der Haltung. Also Sie haben das ja beschrieben. wenn eine Institution eine neue Herausforderung hat, wie jetzt zum Beispiel einen beeinträchtigten jungen Menschen in, teilhaben möchte zu inkludieren, dann wird darüber vielleicht, ja über diese Haltung, ja dann bring doch deinen Inklusionshelfer mit, wird ja deutlich, da wird nicht an Strukturen gedacht. Und ich glaube, das finde ich sehr, gut, weil Also so wie sie es auflösen, weil da sehe ich eher dieses Verbindende zwischen den Professionen und das Gemeinsame an diesem Ziel zu arbeiten und nicht was trennendes.

00:47:24: Rihab Chaabane: Hmm. Und auch die vielleicht auch an der Stelle, dass wir an Interdisziplinarität nicht drum herum kommen, wenn wir irgendwie sagen, der Disziplin soziale Arbeit oder Sozialpädagogik fehlt im Zweifelsfall zum Beispiel das Wissen über Inklusion oder diagnostische Kompetenzen, was Sie ja vorhin genannt haben. Das ist ja genau da, wo quasi Heilpädagogische Kompetenzen wunderbar ansetzen können.

00:47:37: Philipp Bryant: Hmm.

00:47:53: Karin Böllert: Okay.

00:47:57: Rihab Chaabane: Hier sehen wir wirklich eine multiprofessionelle gute Ergänzung. Wenn wir jetzt nur über diese beiden Disziplinen sprechen, da gäbe es sicher, Sie haben ja noch ein paar mehr genannt, da gäbe es sicher mehr, ja, klingt hoffnungsmachend.

00:48:14: Philipp Bryant: Ja,

00:48:15: Karin Böllert: Es gibt ja in so einem Prozess der Entwicklung eines Gesetzesentwurfes oder auch der gemeinsamen Diskussion manchmal Situationen, die dann auch Spuren hinterlassen. Und da sind für mich zum Beispiel zwei Dinge gewesen, mich, oder zwei Situationen gewesen, die mich sehr nachdenklich gestimmt haben, als in diesem Beteiligungsprozess. Vertretungen aus der Behindertenhilfe, die übrigens Heilpädagoginnen waren, gesagt haben, wisst ihr eigentlich als Kinder- und Jugendhilfe, was es heißt, sich mit Familien auseinanderzusetzen, Familien zu begleiten, wo auch ein Kind vielleicht stirbt, wo ein Kind nicht so alt wird, wie man es jedem Menschen wünschen möchte. Was das heißt, mit den Geschwistern in so einem Prozess zu arbeiten. Was es heißt, Eltern zu trösten. Da ist mir so klar geworden, ja, das sind Situationen, die haben wir eigentlich gar nicht bislang antizipiert. Dass auch die Frage, wie Familien sich aufstellen, die ein behindertes Kind haben und mit diesem Vorwurf leben müssen, ja, ihr hättet euch ja auch dagegen entscheiden können. Seien wir mal ganz ehrlich, das ist ja eine gesellschaftliche Debatte, die wir

00:49:19: Rihab Chaabane: Mmh.

00:49:37: Philipp Bryant: Mhm. Mhm.

00:49:38: Karin Böllert: versteckt hinter Inklusion mitführen, dass derjenige, heute ein behindertes Kind hat, im Grunde genommen an einer Stelle, wo er noch entscheiden konnte, die falsche Entscheidung gesprochen hat. Das sind so Dinge, die haben mich zutiefst betroffen gemacht und sehr nachdenklich gestimmt. Und bei dem 17. Kinder- und Jugendbericht hatten wir in dem Inklusionskapitel auch versucht,

00:49:51: Rihab Chaabane: Hm.

00:50:00: Karin Böllert: alles Mögliche an Zahlen zusammenzuführen, wo wir dann zum Beispiel auch festgestellt haben, weil vorhin war ja die Frage Politik oder Forschung und ich gesagt habe, eigentlich geht das eine nicht ohne das andere für mich. Wir wissen viel zu wenig auch aus der Forschung über behinderte junge Menschen. Da gibt es riesige Forschungsdefizite und trotzdem sind wir aufmerksam gemacht worden auf eine Lücke.

00:50:08: Philipp Bryant: Mhm.

00:50:08: Rihab Chaabane: Mmh.

00:50:28: Karin Böllert: die wir im Jugendbericht hatten, die mich auch, ehrlich gesagt, sehr betroffen zurückgelassen hat, weil wenn wir in diesem Prozess einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe über potenzielle Adressatinnenzuwächse reden, haben wir nicht die Kinder im Blick, weil die nämlich auch nicht in den Eingliederungshilfen sind, sondern im medizinischen System, die Lebenszeit verkürzend erkrankt sind. Die in Hospizen zum Teil schon sind. Und das hat mich wirklich schockiert, weil es sind mindestens genauso viele Kinder, wie eine diagnostizierte Behinderung haben. Und da haben wir eine Gruppe von Kindern, die gar keiner von uns im Blick hat. Und da habe ich gedacht, wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns und sind... Vielleicht in unseren politischen Diskursen, manchmal schon ziemlich weit, aber noch lange nicht am Ende. Und wenn Sie gerade gesagt haben Haltung, Haltung heißt an der Stelle eben auch, sich selbstkritisch immer wieder zu überprüfen. Bin ich da eigentlich auf dem richtigen Weg? Habe ich jemanden liegen lassen, den ich hätte mitnehmen müssen? Und dafür sind solche Debatten und Diskussionen und Hinweise auch sehr wichtig.

00:51:54: Rihab Chaabane: Ja, vielen Dank dafür. denke, das war jetzt auch nochmal ganz, ganz wichtig, dass sie das zum Schluss nochmal so... Ich fand es jetzt nochmal sehr eindrücklich, wo nochmal gezeigt wird, dieser Blick auf einzelne Familien, auf einzelne Kinder, der ist auch wichtig für diese systemische und strukturelle Veränderung, die wir ja letztendlich anstreben. Das heißt, das eine mal wieder geht nicht ohne das andere. Gut, ich glaube, die Zeit sagt, wir dürfen langsam zum Abschluss kommen.

00:52:31: Philipp Bryant: Ja, es ist so blöd, weil wir gerade ja... Also es gibt noch so viel zu fragen und so viel zu besprechen und... Aber du hast natürlich Recht, Rihab. Vielleicht müssen wir Frau Böllert nochmal einladen.

00:52:44: Rihab Chaabane: Hätte ich gar nichts dagegen, fände ich wirklich sehr, schön. Frau Böllert, Haben Sie denn noch irgendwas, was Sie noch loswerden wollen, wo Sie jetzt gerne noch diese Plattform, Sie sprechen ja quasi heute zu Heilpädagoginnen, gibt es irgendwie eine Botschaft, einen Appell, was auch immer, was Sie loswerden wollen an der Stelle?

00:53:06: Karin Böllert: einfach nicht nachlassen in dem Ringen um eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe. Und auch wenn der Satz in einem ganz anderen Kontext gefallen ist, ich glaube, gemeinsam schaffen wir das. ⁓

00:53:18: Philipp Bryant: Ja, sehr schön. Danke, dass Sie den auch noch mal aufgenommen haben. Auch der wird ja gerade rauf und runter zerschreddert, dieser Satz. Ja, genau. Und es ist aber heute, finde ich, sehr schön deutlich geworden, dass Sie eine sehr, gute Sparringspartnerin für die politischen EntscheidungsträgerInnen sind. Danke, Frau Böllert.

00:53:28: Karin Böllert: Ich danke!

00:53:45: Philipp Bryant: Zum Ende des Podcasts, da würden wir Sie bitten, wenn Sie mögen, eine Empfehlung mit uns und unseren Zuhörenden zu teilen. Und zwar eine Empfehlung für ein Buch, ein Musikstück, ein Film, ein Schauspiel, irgendetwas, das Sie fachlich oder auch eben nicht fachlich berührt hat und von dem Sie meinen, das ist gut, wenn ich das teile.

00:54:13: Karin Böllert: Ich meine, wir nehmen ja hier gerade eine Podcast-Folger auf, aber trotzdem wage ich es, einen anderen Podcast auch zu empfehlen. Es gibt den Podcast Eierlikör und Jugendhilfe. Der ist noch gar nicht so alt und der ist einfach witzig informativ, wenn man sich mit der Kinder- und Jugendhilfe auseinandersetzen möchte. Den machen drei ehemalige KollegInnen und mittlerweile auch Freundinnen von mir.

00:54:19: Rihab Chaabane: Ja, gar kein Problem.

00:54:25: Philipp Bryant: Okay.

00:54:43: Karin Böllert: Sie sind alle an der Uni in Münster tätig gewesen. Zum Teil sind wir es auch noch, haben Projekte zusammen gemacht und der Eierlikör, den Jana in unseren Arbeitsbereich eingeführt hat, der war einfach so köstlich. sie, Jana Demski, ist auch eine von den drei, Oliver Bokelmann, Mike Sawatzki, die diesen Podcast machen. Und ich finde den sehr gelungen insofern, weil er über die Kinder- und Jugendhilfe vermittelt, aber auch für diejenigen, gar keine Sozial- oder Heilpädagogen sind, sondern auch für andere. Ich glaube, vielen, die im Augenblick so kritisch auf die Kinder- und Jugendhilfe gucken und meinen, bei der Sozialstaatsreform müssen wir da auf jeden Fall auch sparen, sollten diesen Podcast sich anhören, ⁓ die Bedeutung, die die Kinder- und Jugendhilfe hat, bezogen auf einzelne Handlungsfelder, auf Themen. nochmal wieder in einer sehr unterhaltsamen Form sich anzutun. Und dann merkt man eben bei allen Schwierigkeiten, die wir hier auch heute nochmal angesprochen haben, es ist nicht nur eins der größten Handlungs- und Arbeitsmarktfelder, das wir haben, sondern auch eins, was unheimlich befriedigend ist und wahnsinnig viel Spaß macht.

00:56:03: Philipp Bryant: Sehr schön, danke.

00:56:04: Rihab Chaabane: Schön. Ja, Glückwunsch an die KollegInnen für diese wunderbare Namenswahl. Ich glaube, das vergisst man nicht so schnell. Das ist wirklich toll. Ja, und vielen Dank Ihnen, Frau Karin Böllert, an der Stelle, dass Sie uns so eine großartige Gesprächspartnerin heute waren, dass Sie uns ja doch diese komplexen Hintergründe vereinfacht dargestellt, erklärt haben.

00:56:30: Rihab Chaabane: Ich denke auch, wir jedes Mal feststellen, es ist zu wenig Zeit für all das, was wir gerne fragen und wissen wollen, haben wir doch einen guten Einblick bekommen. Bleiben Sie optimistisch und engagiert. Wir brauchen Sie. Die Kinder- und Jugendhilfe braucht Sie. Und ja, vielleicht wird es einen Teil 2 geben, wer weiß. Genau. Ja, Philipp, wir sind zum Ende der heutigen Folge gekommen.

00:56:57: Philipp Bryant: Mhm. jetzt ist es ja so, du am Ende der Folge dich ja immer mit besten Wünschen für die Zuhörenden verabschiedest. Vielleicht kannst du das heute einen kleinen Zusatz tun, wäre gut, Rihab.

00:57:16: Rihab Chaabane: ich merke, ich werde gerade echt emotional. Ja, ich sage ja immer, wir machen so lange weiter, bis wir keine Lust mehr haben. jetzt ist es so, dass es heute für mich tatsächlich vorerst einmal die letzte Folge ist, vor einer längeren Pause, in die ich eintreten werde, freiwilligerweise.

00:57:40: Rihab Chaabane: Ende Oktober gehe ich in Mutterschutz und danach in Elternzeit. Es wird bereits eine wunderbare Kollegin mich in dieser Zeit vertreten. Aber trotzdem werde ich euch und also sowohl das Podcast-Team, die Gäste, die Themen und auch die Zuhörenden vermissen und werde sicher ganz, ganz fleißig den Podcast weiterhören und freue mich auf ein Wiederkommen. Ja, sag...

00:58:09: Philipp Bryant: das tun wir auch. Wir wünschen alles Gute und freuen über die guten Nachrichten, die du dann hoffentlich mit uns teilst und darauf, dass du wiederkehrst.

00:58:21: Rihab Chaabane: Ja, danke Philipp. Nichtsdestotrotz gilt auch für die heutige Folge, dass wenn ihr Anregungen, Kritik, Wünsche habt für Themen, für Gäst:innen, wir hatten das ja beim letzten Mal auch, dass wir quasi ein Thema hatten, quasi eine Reaktion auf einen Communitywunsch,das war zum Thema tiergestützte Heilpädagogik.

00:58:40: Philipp Bryant: Mhm.

00:58:45: Rihab Chaabane: Dann schreibt uns entweder per Mail an podcast.bhponline.de oder über unseren Instagram-Kanal. Wir freuen uns über eure Rückmeldungen. Und jetzt sag ich nicht erst mal nicht bis, ja doch, bis zum nächsten Mal, auch wenn das erstmal für mich in weiterer Zukunft sein wird.

00:59:01: Philipp Bryant: Genau. Tschüss!

00:59:07: Rihab Chaabane: Tschüss!